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Ein Beispiel (und damit Beweis) für die unmittelbare Wirksamkeit der psycho-internen Modellbildung

Hörte Verfasser doch vor wenigen Tagen im Radio die Übertragung einer Live-Aufführung von Tristan und Insolde.
Von wo und durch wen ist hier nicht relevant. Aber der Fakt, dass es nicht sehr befriedigend war: Die Mikrophone nicht optimal gestellt, der Orchesterklang eher flach, die Sänger an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit,
(Es gibt keine Wagner-Sänger zur Zeit, keinen Windgassen, keine Nilsson, geschweige denn Flagstadt oder Melchior),
das Dirigat brachte auch keine neuen Erkenntnisse.

Beim letzten Akt begann Verfasser folglich schon, seine Arbeit wiederaufzunehmen; hörte nur noch teilweise zu; den letzten Schlussakkord blendete er gar selber aus, den fand er unverschämt lange gehalten, -- es reicht, er will endlich weiterarbeiten, nee, das hat sich nicht gelohnt.

Volute

Aber einen Tag später begann endlich das, was er an diesem Nachmittag so selten erlebt hatte: Der "flow"!
Die am bewußten Hören fast ganz vorbeigelaufene, da an sich doch recht farblose Darbietung hatte nämlich das Wieder-Erleben des "Werkes an sich", das Wieder-Abspulen des psycho-internen Modelles ausgelöst: Mit erwähnter Verspätung, dafür um so intensiver, begann die Nachbereitung, schwelgte Verfasser im Nacherleben, wurde seine Seele ergriffen, bewegt, erschüttert und durchgeknetet von all der Herrlichkeit und Wahrheit dieses großen Werkes, der vielleicht grausamsten Schöpfung des menschlichen Geistes.
Z.B. der tiefe Posaunenakkord des "krachend fühlt ich hinter mir", der in besagter Übertragung völlig unterging, durchschlug wieder sein Mark mit unwiderstehlicher Logik.

Denn was sich da abspielte, abspulte war das psycho-interne Modell, war die lebenslange Summe allen Hörens, aller Beschäftigung mit diesem Werk, allen Singens und Spielens, Lesens und Analysierens. Diese Übereinanderlagerung und Synthese aller jemals erlebten Aspekte, halt das "selbst-erworbene, eigene psycho-interne Modell", das war es, was da wirksam wurde und in der Tat bei jedwedem Erleben, in welcher Form auch immer, stets einzig wirksam ist.


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